Meine sehr geehrten Damen und Herren,
liebe Freundinnen und Freunde des Kinderschutzes,
verehrte Mitglieder der Familie Deegener,
lieber Stefan Behr, liebes Team von Miteinander Leben Lernen,
es ist mir eine große Ehre und persönliche Freude, heute hier
bei Ihnen im Festsaal des Saarbrücker Schlosses anlässlich der
bundesweiten Kinderschutztage und zur Verleihung eines
Preises sprechen zu dürfen, der nicht nur einen großen Namen
trägt, sondern auch ein großes Vermächtnis: den Günther-
Deegener-Preis.
Ich stehe heute hier in Vertretung meines geschätzten Kollegen
und Fraktionsvorsitzenden der SPD Landtagsfraktion, Ulrich
Commercon, der sehr gerne selbst gekommen wäre, aber leider
verhindert ist. Ich überbringe Ihnen seine herzlichen Grüße und
sein Bedauern, dass er heute nicht persönlich dabei sein kann.
„Diese Laudatio halten zu dürfen, ist für mich eine besondere
Ehre – nicht nur aus beruflichem Interesse, sondern aus tiefem
persönlichen Engagement. Der Schutz von Kindern liegt mir
sehr am Herzen. Als Mutter – und als Rechtsanwältin, die über
viele Jahre als Verfahrensbeiständin, als Anwältin des Kindes,
gearbeitet hat, habe ich immer wieder erlebt, wie brüchig
Schutz sein kann. Selbst in einem Land, das sich mit Recht Rechtsstaat nennt.
Kinderschutz ist keine Selbstverständlichkeit. Er muss immer
wieder, jeden Tag neu erstritten, gesichert und gelebt werden –
durch Gesetze, durch Haltung, durch konkrete Hilfe im Alltag.“
Wenn man sich mit dem Leben und Wirken von Günther
Deegener befasst, dann spürt man sofort: Hier war jemand am
Werk, der hingeschaut hat, wo andere wegsehen wollten. Der
hinhören konnte, auch wenn das, was zu hören war, schwer
auszuhalten war. Und der sich mit all seiner fachlichen Autorität
und menschlichen Überzeugungskraft auf die Seite der
Schwächsten gestellt hat: auf die Seite der Kinder.
Professor Deegeners Botschaften waren getragen von einem
klaren Kompass: Kinder sind kein Randthema, sondern das
Maß, an dem sich eine Gesellschaft misst.
Deshalb bin ich dankbar, dass dieser Preis seinen Namen trägt.
Und ich bin sehr glücklich, dass er heute an eine Organisation
geht, die – wie Deegener selbst – seit Jahrzehnten hartnäckig,
klug und beharrlich dafür kämpft, dass kein Kind übersehen
wird. Und dass kein Mensch ausgeschlossen bleibt, nur weil er
anders ist: Miteinander Leben Lernen.
Bevor ich gleich näher auf das außergewöhnliche Wirken von
MLL eingehe, möchte ich Ihnen eines vorweg sagen: Diese
Ehrung heute ist mehr als ein Preis. Sie ist ein Ausdruck von
Respekt. Und von Dankbarkeit. Auch von politischer Klarheit. Denn wer die Welt inklusiver macht, macht sie gerechter für uns
alle.
Kinderschutz ist mehr als ein guter Wille. Er braucht Strukturen,
Haltung, Mut. Er braucht Menschen, die sich einmischen – und
Organisationen, die zeigen: Es geht besser. Kinderschutz ist
konkret, unbequem und unteilbar. Er kennt keine halben
Zuständigkeiten, keine Sonntagsreden. Entweder wir schützen
Kinder – oder wir tun es nicht.
Deshalb ist dieser Preis so wichtig. Er holt die ins Licht, die
sonst oft im Schatten, im Hintergrund arbeiten. Die nicht im
Mittelpunkt stehen, sondern für andere da sind. Und er sendet
eine klare Botschaft an unsere Gesellschaft: Wir schauen hin.
Wir sehen euch. Und wir danken euch.
In diesem Jahr geht der Preis an einen Verein, der seit vier
Jahrzehnten wie kaum ein anderer dafür steht, dass Kinder
nicht nur Schutz brauchen, sondern auch Teilhabe. Dass sie
nicht am Rand existieren dürfen, sondern in der Mitte der
Gesellschaft leben müssen – mit all ihren Stärken, mit all ihren
Besonderheiten. Und mit dem uneingeschränkten Recht,
gesehen, gehört und ernst genommen zu werden.
Miteinander Leben Lernen ist damit nicht nur ein Name. Es ist
ein Versprechen. Und auch eine Mahnung – an uns alle. Die Gründung des Vereins war ein Meilenstein für die
Inklusionsbewegung im Saarland. In einer Zeit, in der
Menschen mit Behinderungen noch viel zu oft ausgegrenzt
wurden, war die Gründung von MLL ein Akt praktischer Utopie:
der feste Glaube daran, dass eine inklusive Gesellschaft
möglich und nötig ist.
Was 1984 als Initiative weniger engagierter Eltern begann, ist
heute eine der wichtigsten Stimmen für Inklusion und Teilhabe
im Saarland: Miteinander Leben Lernen hat in den
vergangenen 40 Jahren nicht nur Räume geöffnet, sondern vor
allem Herzen, Haltungen und Horizonte. 40 Jahre MLL – das
sind 40 Jahre gelebte Kinderrechte, 40 Jahre Inklusion, 40
Jahre Menschenwürde.
MLL lebt, was in Artikel 23 der UN-Kinderrechtskonvention
festgeschrieben ist: das Recht jedes Kindes mit Behinderung,
ein erfülltes und möglichst selbstbestimmtes Leben zu führen.
Und das bedeutet eben nicht nur medizinische Versorgung oder
Bildung im engeren Sinn – es bedeutet, dazugehören zu
dürfen. Von Anfang an. Überall.
Der Verein begleitet Kinder, Jugendliche und junge
Erwachsene mit Behinderungen, oft über viele Jahre – mit
Fachlichkeit, aber vor allem mit Menschlichkeit. MLL unterstützt
Familien, berät Schulen, gestaltet inklusive Bildungswege,
schafft Wohnangebote, ermöglicht Freizeit und Kultur, vermittelt Assistenz, schafft Teilhabe auf dem Arbeitsmarkt – kurz: MLL
baut Brücken. Jeden Tag.
MLL bietet heute ein breites Spektrum an
Unterstützungsangeboten – von Frühförderung über
Schulassistenz bis hin zu inklusiven Wohn- und
Freizeitprojekten.
Und nicht selten da, wo andere längst abgewunken haben.
Denn MLL steht nicht für das Machbare – sondern für das
Notwendige. Für das Menschenmögliche. Und ja: auch für das
Menschenwürdige.
Was mich besonders beeindruckt: Bei MLL ist Inklusion keine
Verwaltungsformel. Keine Floskel aus Anträgen. Inklusion ist
Haltung. Eine Haltung, die getragen ist vom tiefen Respekt vor
der Einzigartigkeit jedes Menschen. Und von der Überzeugung:
Vielfalt ist kein Problem – sondern eine Bereicherung.
Es geht nie um Mitleid – sondern um Gerechtigkeit.
Und genau deshalb passt dieser Preis so gut. Weil MLL – wie
Günther Deegener – nie leise war, wenn es darum ging, Kinderrechte einzufordern. Und nie nachgelassen hat, wenn es
darum ging, Barrieren zu beseitigen: physisch, strukturell, aber
vor allem in den Köpfen.
Wer Miteinander Leben Lernen begegnet – in Projekten,
Berichten oder auch nur im Austausch mit denen, die dort
wirken – spürt schnell diesen besonderen Ton: Klar in der
Sache, warm im Umgang, entschieden im Ziel. Es geht nie um
Mitleid – sondern um Gerechtigkeit.
Und genau deshalb passt dieser Preis so gut. Weil MLL – wie
Günther Deegener – nie leise war, wenn es darum ging,
Kinderrechte einzufordern. Und nie nachgelassen hat, wenn es
darum ging, Barrieren zu beseitigen: physisch, strukturell, aber
vor allem in den Köpfen.
Es sind Geschichten von Kindern, die unterschätzt wurden. Von
Familien, die für das Recht auf Teilhabe kämpfen mussten. Von
Menschen, die nicht aufgegeben haben – und dabei auf
jemanden trafen, der gesagt hat: „Doch. Wir machen das
möglich.“
Solche Erfahrungen lassen einen nicht unberührt. Sie
verändern den Blick auf die Welt – und darauf, was Politik
leisten muss. Denn Inklusion ist kein Projekt. Kein Extra. Keine Geste der
Großzügigkeit. Inklusion ist ein Menschenrecht. Und das
bedeutet: Wer ausschließt, verletzt Rechte. Punkt.
Der Respekt vor dieser klaren Haltung verdient Anerkennung.
Und auch die Geduld, mit der dieser Weg gegangen wird – oft
gegen Widerstände, oft mit großem Einsatz. MLL steht für eine
Sprache, die Menschen nicht auf Defizite reduziert. Sondern sie
in ihrer Würde ernst nimmt. Denn Sprache schafft Bilder. Und
aus Bildern entstehen Realitäten.
In diesem Sinne ist MLL auch eine Schule des genauen
Hinsehens. Des respektvollen Zuhörens. Und – ja – der
politischen Haltung. Einer Haltung, die sich nicht wegduckt,
wenn es unbequem wird. Sondern sagt: Wir wollen eine
Gesellschaft, in der alle ihren Platz haben – ohne Wenn und
Aber.
Wenn wir in diesen Tagen auf unsere Gesellschaft blicken,
dann sehen wir, dass vieles ins Rutschen geraten ist: Der Ton
wird rauer. Der Blick enger. Und der Zusammenhalt brüchiger.
Es gibt politische Kräfte, die das gezielt befeuern – die spalten,
ausgrenzen, Angst machen. Und ich frage mich: Was hält uns
dann noch zusammen?
Die Antwort lautet für mich: Organisationen wie Miteinander
Leben Lernen. Menschen, die dafür arbeiten, dass niemand
verloren geht. Dass niemand zu viel ist. Dass jeder Mensch –egal, mit welchen Voraussetzungen, mit welcher Geschichte –
dazugehört.
Denn Teilhabe ist nicht nur eine pädagogische Idee. Sie ist ein
Versprechen der Demokratie. Und Demokratie wird nicht in
Reden verteidigt, sondern im Alltag gelebt – auf dem Spielplatz,
in der Schule, im Betrieb, im Verein. Genau da wirkt MLL. Und
genau dort entscheidet sich, wie stark unser Gemeinwesen ist.
In einer Zeit, in der Nationalismus wieder offen propagiert wird,
in der soziale Kälte politisch gerechtfertigt wird, in der
Unterschiede wieder zu Bedrohungen erklärt werden, setzt MLL
ein ganz anderes Zeichen: ein Zeichen der Zuwendung, der
Empathie, der radikalen Menschenfreundlichkeit.
Das ist, so finde ich, zutiefst politisch. Nicht parteipolitisch –
aber im besten Sinne demokratisch. Und das ist auch die große
Bedeutung dieses heutigen Abends: Wir ehren MLL nicht nur
für Vergangenes. Wir machen deutlich, dass dieses
Engagement unverzichtbar für unsere Zukunft ist.
Wer ehrlich auf die Realität blickt, muss anerkennen: Wir sind
auf dem Weg, aber noch nicht am Ziel. Vieles ist erreicht – aber
ebenso vieles liegt noch vor uns. Wir dürfen die Erfolge feiern,
aber dürfen uns damit nicht zufriedengeben. Und ja, dazu
gehört auch eine gehörige Portion Selbstkritik. Zum Beispiel bei der inklusiven Bildung – gerade im Übergang
von Kita zur Grundschule: Noch immer sind viel zu viele Kinder
in Förderschulen, obwohl wir längst wissen, dass es andere,
bessere Wege gäbe. Wir sind im Saarland auf einem guten
Weg. Mit dem Bündnis für inklusive Bildung und der Novelle
des MUT macht Schule Gesetz und der Neuordnung der
Schulsozialarbeit. Aber gleichzeitig bauen wir neue
Förderschulen und auch die Nachfrage nach Förderschulen
bleibt hoch.
Oder beim Thema Wohnen: Inklusives Leben braucht mehr als
ein Dach über dem Kopf. Es braucht Strukturen, die Teilhabe im
Alltag ermöglichen. Wir müssen genauer hinschauen beim
Thema der Finanzierung der Inklusionswirksamen Leistungen
innerhalb von inklusiver WGs. MLL legt hier zu Recht immer
wieder den Finger in die Wunde – und ich verspreche Ihnen:
Wir nehmen das mit in die Gespräche mit dem
Sozialministerium. Denn ein selbstbestimmtes Leben muss
auch finanziell tragfähig sein. Lieber Magnus, ich denke, da
haben wir mit Dir den richtigen Ansprechpartner in dieser
Angelegenheit und einen Kämpfer für die Sache.
Auch die Frage nach echter Inklusion im Sport, im
Freizeitbereich, auf Spielplätzen und in Vereinen ist ein Thema,
das nicht nur zur Vorbereitung der Special Olympics 2026
gehört – sondern in unseren Alltag hineinwirken muss. Inklusion
darf kein Event sein, sondern muss Normalität werden.
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
heute danken wir einer Organisation, die nicht auf Applaus
arbeitet, sondern auf Wirkung. Die sich selten vordrängt, aber
immer da ist, wenn sie gebraucht wird. Die unbeirrt daran
glaubt, dass die Welt besser werden kann – wenn wir bereit sind,
einander zuzuhören, voneinander zu lernen und niemanden
zurückzulassen.
Der Günther-Deegener-Preis ist eine Würdigung. Aber er ist
auch ein Versprechen: dass wir dieses Engagement nicht nur
feiern, sondern auch politisch ernst nehmen. Dass wir weiter
daran arbeiten, Strukturen zu verändern, Barrieren abzubauen,
Menschen zu stärken. Ich bin sicher: Günther Deegener hätte
sich gefreut, dass sein Name heute mit dem Engagement von
MLL verbunden ist. Denn beide eint der feste Glaube daran,
dass Würde unteilbar ist und dass sie bei den Schwächsten
beginnt.
Ich danke der Jury, dem Kinderschutzbund Saarland, der
Familie Deegener, den Förderern dieses Preises – und allen,
die sich Tag für Tag für Kinderrechte, für Menschlichkeit und für
Teilhabe einsetzen. Sie halten unsere Gesellschaft zusammen.
Und ich gratuliere von Herzen dem gesamten Team von
Miteinander Leben Lernen. Dieser Preis ist verdient – in jeder
Hinsicht. Und er verpflichtet uns alle: weiterzumachen,
hinzuschauen, zu handeln. Damit das Recht auf Teilhabe kein Ideal bleibt, sondern Realität wird – für jedes Kind, für jede
Familie, für jeden Menschen.
Ich wünsche mir, dass wir in fünf oder zehn Jahren
zurückblicken und sagen können: Wir haben uns bewegt – als
Gesellschaft, als Politik, gemeinsam mit Initiativen wie MLL.
In diesem Sinne: Herzlichen Dank.