Kerstin Rock/Rosanna Linardi-Jung
htw online Artikel Nov. 2024
Etwa 140 Menschen mit und ohne Behinderung sind am 19. November 2024 auf dem Sportcampus in Saarbrücken zusammengekommen, um sich über die Beteiligung von Expert:innen in eigener Sache auszutauschen. Eingeladen hatten die Fakultät für Sozialwissenschaften der htw saar und der Verein Miteinander Leben Lernen. Expert:innen in eigener Sache sind Menschen, die persönliche Erfahrungen mit Behinderung, Krankheit oder sozialen Problemen gemacht haben. Sie wissen, was es bedeutet, Ausgrenzung und Benachteiligung zu erfahren. Sie wissen aber auch, wie gesellschaftliche Barrieren überwunden werden können und wie gute Unterstützung aussieht.
Im Mittelpunkt der Tagung standen Ansätze der Selbstvertretung und der Einbeziehung von Expert:innen in eigener Sache. Ihre Arbeit als Peer-Berater:innen in der unabhängigen Teilhabeberatung (EUTB) und als Genesungsbegleitung in der psychiatrische Versorgung war ebenso Thema wie ihr Einsatz für Inklusion als Bildungsfachkraft in Hochschulen und als Prüfer:innen von inklusiven Veranstaltungen. In den Workshops wurde intensiv auch über Fragen der Umsetzung hier im Saarland diskutiert. Im Schlussimpuls richtet sich Dr. Sören Zimmermann vom Deutschen Institut für Menschenrechte direkt an die anwesenden Expert:innen in eigener Sache und forderte sie auf, sich politisch zu engagieren und für ihre Rechte einzutreten. Zugleich erinnert er die Verantwortlichen in Verwaltung, Politik und Fachpraxis an ihre Aufgabe, geregelte Beteiligungsstrukturen aufzubauen und die betroffenen Menschen mit Ressourcen und Fachwissen zu unterstützen. Eine Aufgabe übrigens, die zugleich eine rechtliche Verpflichtung aus der UN-Behindertenrechtkonvention ist.
Die Besonderheit der Tagung – darin waren sich alle Teilnehmenden einig – lag in der inklusiven Ausrichtung. Expert:innen in eigener Sache waren ebenso wie Fachkräften aus dem Sozial- und Gesundheitsbereich sowie Studierende der htw saar als Referent:innen und Tagungsgäste vertreten. Die notwendige Barrierefreiheit wurde in einem Studienprojekt im Sommersemester 2024 und Wintersemester 2024/25 zum Thema gemacht. Unter der Leitung von Prof. Dr. Kerstin Rock und Rosanna Linardi-Jung, LfbA, arbeiteten Studierende, Partner:innen aus der Praxis und von Behinderung betroffene Menschen zusammen, um ausgehend von einer gemeinsamen Erkundung von Barrieren im Alltag die konkreten Bedarfe an Barrierefreiheit bei der Tagung zu erschließen. In Teams wurden viele Ideen entwickelt und umgesetzt, um die Tagung möglichst barrierearm zu machen: die Gestaltung der Einladung als Flyer und Video, die Einrichtung eines reizarmen Ruheraums während der Tagung, der Einsatz einer Dolmetscherin für leichte Sprache und die Unterstützung durch Lotsen und ein Awarenessteam. Gemeinsam mit dem Mitveranstalter wird die Tagung als Pilotprojekt für inklusive, barrierefreie Veranstaltungen seitens der Studierenden und Lehrenden evaluiert. Die Tagung soll so auch einen Beitrag leisten, um Studierende als Multiplikatorinnen für eine inklusive Gesellschaft zu qualifizieren. Denn als zukünftige Fach- und Führungskräfte sind zu maßgeblich dafür verantwortlich, Infrastrukturen und Einrichtungen in eine inklusivere Richtung zu entwickeln.