Immer wieder taucht in Presse und Öffentlichkeit die Forderung auf, Inklusion wegen angeblich vielfältiger Probleme zu verzögern oder gar zu stoppen.
Inklusion ist aber weder die Idee einer politischen Partei, noch die Wunschvorstellung einzelner Interessensvertretungen. Inklusion, also das Recht aller, auch der Menschen mit Behinderungen, auf gleichberechtigte und selbstbestimmte Teilhabe wurde am 13. Dezember 2006 in der Generalversammlung der UN im „Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen UNBRK)“ beschlossen und trat am 03. Mai 2008 international in Kraft. Die Bundesrepublik Deutschland hat sich mit der Unterzeichnung 2007 zu diesem völkerrechtlich verbindlichen Vertrag bekannt und ist mit der Ratifizierung 2009 zur zügigen Umsetzung der Konvention in nationales Recht verpflichtet. Inklusion als Recht jedes Menschen auf umfassende Teilhabe ist ein Menschenrecht, das weder ausgesetzt, noch gestoppt werden kann.
Seit nunmehr zehn Jahren wird in Deutschland auf verschiedenen Ebenen an der Umsetzung des Rechts auf Teilhabe mit unterschiedlicher Intensität und unterschiedlichen Ausrichtungen gearbeitet – insgesamt lässt die Umsetzung vielerorts stringente Planung und Konsequenz vermissen. Dies stellt auch die Monitoring-Stelle, die mit der bundesweiten Begleitung der UNBRK betraut ist, immer wieder von neuem fest. Ein wesentlicher Bereich dieser Umsetzung betrifft die Forderung nach der Schaffung eines „inklusiven Bildungssystems“, in dem Kinder lernen, mit Verschiedenheit umzugehen und den Einzelnen als vollwertiges und gleichberechtigtes Mitglied der Gemeinschaft und Gesellschaft zu akzeptieren.
Die derzeitig laut vorgebrachten Überlastungsanzeigen aus der Lehrerschaft sind nachvollziehbar. Wir verstehen, dass sich viele Lehrkräfte durch stetig neue Aufgaben und fehlendes oder ungenügend ausgebildetes Personal überlastet fühlen. Diese Probleme jedoch alleine auf die Umsetzung der Inklusion oder die plötzliche Zunahme an geflüchteten Schülern- und Schülerinnen zurückzuführen greift zu kurz. Aufgabe von Schule ist es, sich vielfältigen gesellschaftlichen Herausforderungen und Veränderungen zu stellen. Die Umsetzung eines inklusiven Schulsystems – im umfassenden Sinne als Entwicklung zu einer „Schule für alle“ verstanden – könnte hierbei wertvolle Unterstützung leisten. Lehrer, Schüler und Eltern dürfen damit nicht alleine gelassen werden. Stellt sich eine Schule ernsthaft diesen Herausforderungen, braucht sie Begleitung und Beratung. Ressourcen sollten umverteilt werden, um das System Schule auf die neuen Aufgaben vorzubereiten und angemessen auszustatten, räumlich genauso wie personell. Schulen müssen barrierefrei werden, Schulteams multiprofessionell ausgestattet werden. In Schulen werden die Kompetenzen vieler dringend gebraucht. Sollte man sie nicht bündeln? Aus dieser Perspektive bleibt die CDU-Forderung nach neuen Förderschulen unverständlich, denn damit werden die dringend in den Regelschulen benötigten Kompetenzen von Förderschullehrkräften ausgelagert.
MLL lehnt die Umsetzung von Inklusion zum Nulltarif ab, weil sie auf Kosten von Schülerinnen und Schülern und auf Kosten von Lehrkräften geht, so dass Kindern mit Behinderung in den Schulen nicht immer offen aufgenommen werden. Insbesondere wird so Eltern von Kindern mit Behinderung die Last auferlegt, sich zwischen zwei ungleichen Möglichkeiten entscheiden und dann die Sonderschule wählen zu müssen
Aber: Die Schaffung neuer Förderschulen bindet dringend benötigte Ressourcen und ist keine „Inklusion mit Augenmaß“ sondern setzt diese aus.
Die Aussetzung oder Verschiebung eines Menschenrechts kann ganz sicher nicht die richtige Antwort auf die vielfältigen Herausforderungen sein.
– Wir brauchen eine gute personelle Ausstattung der Schulen. Die Schulen im Saarland, die schon viele Jahre das gemeinsame Lernen in guter Qualität auch für Kinder mit Behinderung anbieten, brauchen dafür erfahrungsgemäß zwar keine durchgängige, aber eine ausreichende Doppelbesetzung. Entscheidend ist, dass die Lehrkräfte und andere pädagogische Helfer im Team zusammenarbeiten.
– Inklusion von Kindern mit Behinderungen ist gemeinsame Aufgabe aller Verantwortlichen im Schulbetrieb der allgemeinen Schule. Sie darf nicht nur Angelegenheit der Sonderpädagogik sein. Darauf muss auch die Aus- und Fortbildung aller Lehrkräfte ausgerichtet werden.
– Inklusive Schulen teilen ihre Schülerinnen und Schüler nicht in „Schubladen“ auf und halten für „behinderte“ und „nicht behinderte“ Schüler keine inhaltlich unterschiedlichen Unterrichtsprogramme bereit. Stattdessen gestalten die Lehrkräfte einen gemeinsamen Unterricht, der allen Schülerinnen und Schülern gerecht wird. Sie arbeiten zusammen mit Schulassistent*innen, mit (externen) Experten und nutzen die Kompetenz der Eltern.
– Inklusive Schulen brauchen ein multiprofessionelles Team, das auf die vielfältigen Herausforderungen des veränderten Schulalltages gemeinsam kompetente Antworten entwickelt. Die besonderen Bedarfe von Kindern, die in Armut aufwachsen, von Kindern mit Fluchterfahrung, von Kindern in sozial belastenden Lebenssituationen müssen ebenso Berücksichtigung finden, wie die der Kinder mit besonderen Kompetenzen und Begabungen. Eine enge Zusammenarbeit zwischen Jugendhilfe und Schule muss gewährleistet sein, Schulsozialarbeit ausgebaut werden.
– Gemeinsames Handeln vieler Unterstützungssysteme kann die Haltekraft der Schulen stärken. Bereits erfolgreich arbeitende Projekte und Modelle müssen gefördert und weiterentwickelt werden. Ressourcen müssen dort verortet werden, nicht in Sondersystemen.
– Gute Schul- und Unterrichtskonzepte, die Heterogenität und Vielfalt im Blick haben, müssen endlich auch in der Praxis Anwendung finden. Denn Unterricht in inklusiven Schulen beinhaltet Phasen des selbständigen Lernens und Phasen des kooperativen, gemeinsamen Lernens. In den Phasen des selbständigen Lernens können alle Schüler mithilfe individueller Lernpläne nach ihren Bedürfnissen und in ihrem Tempo – aufmerksam begleitet durch die Lehrkräfte – lernen. In den Phasen des gemeinsamen Lernens können die Ressourcen der Mitschüler genutzt werden: Kinder lernen von und mit Kindern.
– Inklusive Schulen unterrichten flexibel, je nach den Bedürfnissen ihrer Schüler. Sie fördern (Klein)Gruppenarbeit in heterogenen oder jahrgangsübergreifenden Schülergruppen im Klassenverband. Sie brauchen dafür sowohl große Klassenräume als auch Differenzierungsräume. Sie haben die Freiheit, unterschiedlich große Klassen zu bilden, damit auch Schüler inklusiv lernen können, die in großen Gruppensituationen überfordert sind.
– Inklusive Schulen unterrichten nicht Fächer, sondern Kinder. Sie organisieren das Lernen unterschiedlicher fachlicher Kompetenzen entlang der Lebenswelt ihrer Kinder. Das fördert den Lernerfolg aller Schüler, auch derer ohne Behinderung.
– Nicht zuletzt widmen inklusive Schulen den Übergängen zwischen Kindergarten und Grundschule und zwischen einzelnen Schulstufen besondere Aufmerksamkeit.